Wer hätte im Jahre 1952, als die Stadt Hildesheim und der damalige Landkreis Hildesheim-Marienburg die Patenschaft für die oberschlesische Stadt und den Landkreis Neisse übernahmen, zu hoffen gewagt, dass 60 Jahre später dieses Patenschaftsverhältnis an Lebendigkeit nichts eingebüßt hat? Als durch die unmenschliche Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den deutschen Ostgebieten viele Millionen ihre Heimat verloren und in alle Welt verstreut wurden, boten westdeutsche Städte und Kreise ihre helfende Hand und wurden so für viele zu einem Ersatz-Heimatort. Hildesheim und Neisse - beide Regionen haben viel Gemeinsames in Geschichte, Struktur und Schicksal. Die tragische Katastrophe des Zweiten Weltkrieges hat beide Städte und ihre Bewohner bitter getroffen. Neisse und Hildesheim wurden durch Bomben und Brand nahezu völlig zerstört; die Neisser erlebten zudem noch den schmerzhaften Riss aus ihrer heimatlichen Verwurzelung und den bitteren Elendszug mit seinen Nöten, Leiden und Demütigungen. Wie schwierig der Neubeginn im Hildesheimer Raum nach der Vertreibung gewesen ist, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Zur Erinnerung: 54 000 Vertriebene fanden in den Jahren nach 1945 Zuflucht im Landkreis Hildesheim- Marienburg und in der Stadt Hildesheim, davon über die Hälfte aus Schlesien. Die Not der Zeit setzte viele Kräfte der Mitmenschlichkeit frei und machte vor allem bald deutlich, dass beide Seiten aufeinander angewiesen waren.. Feierliche Patenschaftsübernahme Zwei Persönlichkeiten ist es zu verdanken, dass Hildesheim und Neisse zueinander fanden: dem aus Hildesheim stammenden, aber in jungen Jahren nach Neisse übersiedelten Johannes Trouw und dem damaligen Leiter des Flüchtlingsamtes Ralph Depta. Ihr Vorschlag einer Patenschaft wurde von den damaligen Verantwortlichen in Kreis und Stadt Hildesheim, Oberkreisdirektor Dr. Franz Buerstedde, Landrat Otto Gott sowie Oberbürgermeister Lekve und Oberstadtdirektor Dr. Sattler aufgegriffen und im Kreistag und Stadtrat einmütig beschlossen. Der historische Patenschaftsakt vollzog sich am 1. Juni 1952 in einer eindrucksvollen Feierstunde im Hildesheimer Stadttheater. Hildesheim Stadt und Land übernahmen rechtens, förmlich und feierlich verbrieft die Patenschaft für Neisse und seinen Kreis. In ein kunstvoll gestalteten Urkunden wurden die Patenschaften dokumentiert. In den Urkunden heißt es: "Neisse - das Werk deutscher Siedler seit dem 12. Jahrhundert, Bistumsland der Breslauer Bischöfe mitsamt den Städten und Dörfern des blühenden Neisse-Gaues, Stadt residenzlichen Glanzes und bürgerlicher Kultur, der Giebel und Türme aus sieben Jahrhunderten, das schlesische Rom, Lieblingsfestung Friedrichs des Großen - fiel fast gleichzeitig mit Hildesheim verheerender Kriegswut anheim. Nach der Vertreibung leben die Bürger der Stadt zerstreut. Vereint im Neisser Kultur- und Heimatbund, begeben sie sich heute am 1. Juni 1952 dankbaren Herzens in die Patenschaft der ehrwürdigen Stadt Hildesheim." Bernward Trouw, Ehrenvorsitzender |